Siegfried Gohr

Es war ja ein einziger Kübel von Dreck, der auf dieses Museum, auf mich, die Stadt Köln gekippt wurde, weil irgendwie alles falsch war. Es war so irrational, was da gelaufen ist.

Mitte der 1980er Jahre gibt sich Köln in Sachen Kunst selbstbewusst und krönt sich mit dem neu erbauten Museum Ludwig zur selbsternannten „Museumsstadt von Weltrang“. Als Siegfried Gohr 1985 als Direktor der Josef-Haubrich Kunsthalle an das Museum Ludwig wechselt, wird ihm der Selbstbehauptungswille der Stadt schnell zum Verhängnis. Denn Gohr möchte Gegenentwürfe zum Kölner Erfolgsmodell Pop Art und zur omnipräsenten US Kunst aufzeigen. Er möchte wissenschaftlich arbeiten, obwohl man sich von seinen Ausstellungen leichte Unterhaltung wünscht. Er kauft nachhaltig für das Museum an, anstatt auf Masse zu setzen.
Seine stärkere Ausrichtung gen Europa zeigt der 1949 bei Aachen geborene Kunsthistoriker bereits in der Kunsthalle mit Ausstellungen von Georg Baselitz, Markus Lüpertz, Jean Fautrier, Lovis Corinth, Nay, A.R. Penck, Willem de Kooning und Sigmar Polke. Nun setzt er seinen Kurs im Museum Ludwig fort, zeigt Künstler wie Jürgen Klauke, Per Kirkeby, Gerhard Richter. Das missfällt nicht nur dem einflussreichen Kunstmäzen Peter Ludwig, der „sein“ Haus in erster Linie der Pop Art und der Ostkunst verschrieben hat, sondern auch einigen Kölner Galeristen, die lautstark gegen Gohr wettern.
Anlässlich der von Siegfried Gohr und Johannes Gachnang in den Kölner Messehallen kuratierten Ausstellung „Bilderstreit“ zur Kunst von 1969 bis 1989 eskaliert die Situation mit einem offenen Brief, unterzeichnet von 33 Kölner Galeristen gegen die Arbeit des Museumdirektors. Gohr ist sich sicher, dass die Galeristen mit ihrem Protest, über den auch überregional berichtet wird, mehr Schaden für das Museum anrichteten, als er mit einer einzigen Ausstellung hätte leisten können.
1991 verlässt Siegfried Gohr die Stadt und widmet sich als Professor für Kunstwissenschaft und Mediengeschichte an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe der Lehre. Von 2006 bis 2014 ist er Professor für Kunstgeschichte an der Kunstakademie Düsseldorf.

Das Gespräch wurde am 22.7.2022 geführt.



[ssba]